2/22/2023·
4 min Lesezeit
Demet Demir

Demet Demir

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Die verhetzende Beleidigung

Facts zum neuen § 192a StGB

Nach dem rassistischen Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020 hat die Bundesregierung ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus vorgestellt. In Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen wurden insgesamt 89 Maßnahmen beschlossen, darunter auch die Erarbeitung einer Strafbarkeit für verhetzende Beleidigungen. Zur Umsetzung dieses Vorhabens wurde im September 2021 § 192a StGB in das Strafgesetzbuch eingefügt. Noch vielen (Nicht-)Jurist*innen ist diese Norm unbekannt. Im Folgenden finden sich daher einige Fakten zum neuen Straftatbestand des § 192a StGB.

Was regelt § 192a StGB?

§ 192 a (Verhetzende Beleidigung)
Wer einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der geeignet ist, die Menschenwürde anderer dadurch
anzugreifen, dass er eine durch ihre nationale, rassische, religiöse oder
ethnische Herkunft, ihre Weltanschauung, ihre Behinderung oder ihre sexuelle
Orientierung bestimmte Gruppe oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit
zu einer dieser Gruppen beschimpft, böswillig verächtlich macht oder
verleumdet, an eine andere Person, die zu einer der vorbezeichneten Gruppen
gehört, gelangen lässt, ohne von dieser Person hierzu aufgefordert zu sein,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Was bedeutet das?

Strafbar macht sich nun eine Person, die volksverhetzende Inhalte über die in der Norm genannten geschützten Personengruppen an eine Person gelangen lässt, die zu dieser Personengruppe gehört. Also verlangt die Norm folgende Voraussetzungen für eine Strafbarkeit, die positiv vorliegen müssen:

  • Volksverhetzende Inhalte
  • über eine geschützte Personengruppe
  • die an Personen gelangen, die zur vorbezeichneten Gruppe gehören.

Die Inhalte sind volksverhetzend, wenn sie die Menschenwürde angreifen. Das ist dann der Fall, wenn der Kern der Persönlichkeit getroffen und die Personengruppe als minderwertig dargestellt bzw. der Gruppe die Gleichwertigkeit in der staatlichen Gemeinschaft aberkannt wird. Das Merkmal „Angreifen der Menschenwürde“ ist nicht leicht zu handhaben. Gerichte sind sich nicht selten uneinig darüber, welche Parolen die Menschenwürde „angreifen“. Beispielsweise soll der Ausdruck: „Ausländerrückführung – Für ein lebenswertes deutsches Augsburg“ die Menschenwürde nicht angreifen, während „Ausländer raus!“ dies tun soll. Die geschützten Personengruppen sind abschließend aufgezählt. Geschützt werden Gruppen, die durch „ihre nationale, rassische, religiöse oder ethnische Herkunft, ihre Weltanschauung, ihre Behinderung oder ihre sexuelle Orientierung“ bestimmt werden. Die volksverhetzenden Inhalte können auf verschiedene Art an Personen gelangen, z.B. wenn sie diesen zugesendet, angeboten, überlassen oder zugänglich gemacht werden (durch E-Mail, SMS, Nachrichten über soziale Netzwerke usw.). 

Was ist der Hintergrund dieser neuen Strafbarkeit?

Der Gesetzgeber sah eine Strafbarkeitslücke für Sachverhalte, bei denen zwar ein gemessen an § 130 StGB (Volksverhetzung) strafbarer Inhalt vorlag, aber die Handelnden diesen Inhalt nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht oder verbreitet haben. Die Strafbarkeit wegen Volksverhetzung scheiterte an dem fehlenden Öffentlichkeitsbezug. Eine strafbare Beleidigung nach § 185 StGB kommt nach Ansicht des Gesetzgebers in einigen Fällen auch nicht in Betracht, nämlich dann, wenn keine Person individuell angesprochen und damit auch nicht individuell in ihrer Ehre verletzt werde. Diese Strafbarkeitslücke - also keine öffentliche Volksverhetzung und fehlende Individualisierung - soll mit § 192a StGB geschlossen werden. Der § 192a StGB stellt damit die Schnittstelle zwischen der Volksverhetzung nach § 130 StGB und der Beleidigung nach § 185 StGB dar.

Von eben solchen Sachverhalten, bei denen der Öffentlichkeitsbezug und die Individualisierung fehlten, berichten Betroffene. So legte beispielsweise der Zentralrat der Juden dar, dass sie antisemitisch motivierte Inhalte erhalten, die dann von jüdischen Personen gelesen werden. Gleiches gilt für entsprechende antimuslimische Schreiben, die muslimischen Personen und Islamgemeinschaften übersandt werden. Für genau diese Fälle will der Gesetzgeber mit der neuen Strafbarkeit Abhilfe schaffen. 

War die neue Strafbarkeit erforderlich?

Einige Stimmen aus der Strafrechtswissenschaft bezweifeln, dass es zuvor tatsächlich eine Strafbarkeitslücke gegeben hätte, die nun mit § 192a StGB geschlossen werden soll. So wird angebracht, dass das bewusste Versenden volksverhetzender Schreiben an Betroffene ohnehin eine strafbare Beleidigung nach § 185 StGB sei. Dies setze voraus, dass Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts, die für die Beleidigung nach § 185 StGB entwickelt wurden, auch konsequent auf diese Sachverhalte angewendet werden (Grundsätze aus der sog. ACAB-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). In der Realität scheint es angesichts der Betroffenenberichte nicht der Fall gewesen zu sein. Ihnen blieb mit dem Argument der Strafbarkeitslücke der (strafrechtliche) Schutz gerade versagt. Auch wenn die Rechtslage vor Einführung des § 192a StGB eventuell ausreichend gewesen wäre, um die Fälle strafrechtlich zu verfolgen, hätte dies eine konsequente Anwendung der rechtlichen Grundsätze erfordert. Diese Konsequenz war nicht immer gewährleistet. Mit dem neuen Straftatbestand wird daher der Schutz vulnerabler Gruppen in der Rechtswirklichkeit erweitert. Das Gesetz ist daher jedenfalls für Strafverfolgungslücken erforderlich. 

Was kann u.a. an § 192a StGB kritisiert werden?

§ 192a StGB schützt nur die dort genannten Personengruppen. Ursprünglich sollte der Paragraph nur Gruppen umfassen, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden. Dieses Vorhaben stieß zu Recht auf Kritik, weil dadurch Gruppen aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen wären, die ebenfalls Opfer von Hass und Hetze sind. Allerdings wirft die aktuelle Fassung die Frage auf, weshalb andere besonders vulnerable Gruppen nicht mit umfasst sind, wie z.B. Gruppen, die aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer geschlechtlichen Identität diskriminiert werden. Die Erweiterung der geschützten Personengruppen sollte vom Gesetzgeber zeitnah überdacht und angepasst werden. Das ist auch im Sinne eines intersektionalen Ansatzes wünschenswert.

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