1/20/2024·
6 min Lesezeit
Postmigrantischer Jurist*innenbund

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Stellungnahme des PMJB zum Staatsangehörigkeitsmodernisierungsgesetz

Kritikpunkte am novellierten Staatsangehörigkeitsrecht

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Der Bundestag hat gestern, Freitag, den 19. Januar 2024, das Staatsangehörigkeitsmodernisierungsgesetz beschlossen. Eine Modernisierung ist zwar lange überfällig, allerdings bleibt auch das neue Gesetz, trotz einiger Erleichterungen für ehemalige sog. Vertrags- und Gastarbeiter*innen, weit hinter den gleichheitsrechtlich zwingenden Reformen zurück. Die Ampelkoalition macht deutlich, dass insbesondere der wirtschaftliche Nutzen von Ausländer*innen über ihre Aufnahme in die demokratische Gemeinschaft entscheiden soll. Das belegt auch die das Gesetzgebungsvorhaben begleitende Rhetorik, bei der sich immer wieder auf Fachkräfteeinwanderung und deren Notwendigkeit für die Bundesrepublik bezogen wird. Mit einem Bekenntnis gegen die Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus betont die Ampel die antifaschistische Ausrichtung des Grundgesetzes, zu der sich Einbürgerungsbewerber*innen künftig bekennen müssen. Dass die Beurteilung der Glaubwürdigkeit jedoch von Behörden vorgenommen wird, sehen wir vor dem Hintergrund des Erstarkens von Antisemitismus und Rassismus als problematisch an.

Einkommensabhängige Staatsangehörigkeit  

Einer unserer zentralen Kritikpunkte ist das Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung in § 10 Abs. 1 Nr. 3 StAG n.F. Dieses Kriterium führt dazu, dass Personen, die auf Sozialleistungen nach dem SGB II oder SGB XII angewiesen sind, ihren Anspruch auf Einbürgerung verlieren. Dabei bleibt völlig unbeachtet, dass die Inanspruchnahme von Sozialleistungen gerade auch auf strukturelle Diskriminierung zurückgeführt werden kann.

Durch das Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung werden insbesondere folgende Personengruppen grundsätzlich von der Einbürgerung ausgeschlossen:

·       Renter*innen, die aufstockende Grundsicherung beziehen

·       Menschen mit Behinderungen

·       Alleinerziehende & privat Pflegende

Die Aufzählung ist nicht abschließend. So kann eine Person als unterhaltsunfähig in diesem Sinne gelten und von der Einbürgerung ausgeschlossen sein, wenn sie Wohngeld anstelle von Sozialleistungen bezieht. In Zeiten der angespannten Wohnungsmarktsituation in Großstädten wirkt dies besonders diskriminierend.

Das Gesetz sieht eine Ausnahme vor, wenn der*die Einbürgerungsbewerber*in die Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat. Diese Ausnahme wird allerdings sehr eng auslegt. Das Vertretenmüssen ist nicht auf vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln beschränkt. Wenn etwa die Betreuung für eines an frühkindlichen Autismus erkrankten Kindes übernommen wird, ist eine Einbürgerung nur möglich, wenn es keine Alternative zur Kinderbetreuung gibt. Daher reicht die gesetzliche Ausnahme keinesfalls aus, um strukturelle Benachteiligung zu verhindern.

Statt ausdrücklich gesetzliche Ausnahmetatbestände zu schaffen, um solchen Auswirkungen entgegenzuwirken, haben die Regierungsfraktionen einen Entschließungsantrag in die Wege geleitet. In diesem fordern sie die Bundesregierung zum Erlass von vorläufigen Anwendungshinweisen und Verwaltungsvorschriften auf, die Härtefalleinbürgerungen von Rentner*innen, Menschen mit einer körperlichen, geistigen oder seelischen Erkrankung oder Behinderung und Alleinerziehenden, die wegen Kinderbetreuung nicht oder nur in Teilzeit erwerbstätig sein können sowie pflegenden Angehörigen nach § 8 StAG vorsehen. 

Hierin sehen wir zwei Probleme:
Erstens können Betroffene mangels Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften nur mittelbar über eine sich aus ihr ergebenden Verwaltungspraxis und damit der Selbstbindung der Verwaltung (Art. 3 Abs. 1 GG) die Einbürgerung einklagen. Diese Selbstbindung wiederum kann aber dadurch beseitigt werden, dass die Verwaltung ihre Praxis in Zukunft schlicht ändert oder neue Verwaltungsvorschriften erlässt.

Zudem schließen Verwaltungsvorschriften nicht stets vollständig das Ermessen der Verwaltung aus, woraus sich zweitens das Problem ergibt, dass die genannten Personengruppen durch den Ermessensspielraum der Behörde schlechter gestellt werden. Zum einen kann eine Ermessensvorschrift dazu führen, dass Betroffene ihre Einbürgerung häufiger gerichtlich durchsetzen müssen als Personen, die einen Anspruch auf die Einbürgerung haben. Eine fehlerhafte Ermessensausübung durch die Behörden ist nämlich häufiger zu erwarten, als dass sie das Vorliegen von Anspruchsvoraussetzungen verkennen. Zum anderen kann bei einer Negativentscheidung der Verwaltung das Gericht – anders als bei der Anspruchseinbürgerung – den Verwaltungsakt zur Einbürgerung in der Regel nicht selbst vornehmen, sondern verweist die Sache zur Entscheidung wieder an die Verwaltung. 

Das Grundgesetz als Gegenentwurf zum Nationalsozialismus

Darüber hinaus wurden einige Änderungen beschlossen, die die Stellung der Bundesrepublik Deutschland unter dem Grundgesetz als Gegenentwurf zur Unrechtsherrschaft des Nazi-Regimes betonen.

In § 10 Abs. 1 S. 2 StAG n. F. wird klargestellt, dass antisemitisch, rassistisch oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen mit der Menschenwürdegarantie unvereinbar sind und damit gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstoßen. Zur besseren Durchsetzung des § 12a Abs. 1 S. 2 StAG, gilt nun eine Übermittlungsregelung nach § 32b StAG n. F. Danach setzt künftig die Staatsanwaltschaft die nach dem StAG zuständigen Behörden über Straftaten in Kenntnis, denen antisemitische, rassistische oder sonstige menschenverachtende Beweggründe zugrunde liegen. Daneben müssen sich Einbürgerungsbewerber*innen zur “besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihren Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens, sowie zum friedlichen Zusammenleben der Völker und dem Verbot der Führung eines Angriffskrieges” bekennen, § 10 Abs. 1a StAG n.F. Die Einbürgerung ist damit ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der*die Einbürgerungsbewerber*in Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung unterstützt oder unterstützt hat, also auch wenn die Person antisemitisch, rassistisch oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen vornimmt oder vorgenommen hat. Zusätzlich ist nun die Einbürgerung nach § 11 Nr. 1a StAG n. F. ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass das Bekenntnis gegen das NS-Regime, inhaltlich unrichtig ist.

Die Regierung verdeutlicht damit nochmals, dass für Rassismus und Antisemitismus in Deutschland kein Platz sein darf, was sehr zu begrüßen ist. An dieser Stelle ist jedoch auf die zahlreichen Probleme, die sich bei einer Übernahme der Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance zu Antisemitismus (im Folgenden IHRA-Arbeitsdefinition) als rechtliches Regulierungsinstrument ergeben würden, hinzuweisen (s. hier). Die IHRA stellt selbst klar, dass es sich um eine nicht rechtsverbindliche Erklärung handelt. Sie kann zur Erkenntnisgewinnung beitragen, taugt aber nicht als rechtliches Regulierungsinstrument. 

So ist bereits jetzt unklar, was als antisemitische motivierte Handlung gelten kann, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstößt. Problematisch ist zudem, dass diese Beurteilung eine Behörde vornimmt und tatsächliche Anhaltspunkte ausreichen. Für tatsächliche Anhaltspunkte genügen konkrete Tatsachen, die eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine solche Annahme begründen, was die Nachweisschwelle für die Behörden erheblich absenkt.

Anders im Gerichtsverfahren: Bei der Feststellung antisemitischer oder rassistischer Motivation in Bezug auf Straftaten wird dort in einem ausgedehnten Erkenntnisprozess eine solche Motivation festgestellt. Soweit eine für das Recht handhabbare Definition besteht, kann damit von einer gesicherten Grundlage für die Beurteilung ausgegangen werden. Für die Beurteilung durch die Behörde ist dagegen nicht ausgeschlossen, dass diese aus Ressourcenmangel unter Zeitdruck und vorschnell getroffen wird. Insbesondere besteht die Gefahr, das palästinasolidarische und israelkritische Aussagen, eine dahingehende wissenschaftliche oder künstlerische Betätigung und die Teilnahme an pro-palästinensischen Demonstrationen vorschnell als antisemitisch im Sinne dieser Norm eingestuft werden. Daher muss das aus der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG fließende Gebot der meinungsfreundlichen Deutung von Aussagen beachtet werden, um die Meinungsfreiheit von Ausländer*innen nicht unverhältnismäßig einzuschränken sowie Wissenschafts- und Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, gewahrt werden.  

Die gleichen Bedenken bestehen für die Feststellung der Unrichtigkeit des Bekenntnisses gegen das Nazi-Regime. Auch hier sollte nur auf tatsächliche Anhaltspunkte abgestellt werden, die gesichert eine solche Annahme  rechtfertigen. Ansonsten läuft man Gefahr, eine antisemitische und rassistische Einbürgerungspraxis zu begünstigen, die jüdische und palästinensische Stimmen bei bestimmten Handlungen und Aussagen mit dem Ausschluss der Einbürgerung pönalisiert.

Zudem darf durch eine solche Voraussetzung der eigentliche Kern nationalsozialistischer Ideologie, also der Irrglaube an die Existenz verschiedener Menschenrassen verbunden mit einem Freund-Feind-Denken, nicht aus dem Blick geraten: Ausländer*innen werden zum Bauernopfer für die von Nationalsozialist*innen in einer weißen Dominanzgesellschaft ausgehenden Gewalt, die sich gegen sie selber richtet.

Eine verpasste Chance

Es bleibt festzuhalten: 

Die Ampelkoalition hat es verpasst, durch das neue Gesetz Benachteiligungen durch strukturelle Diskriminierung auszugleichen. Stattdessen bleibt die Diskriminierung durch Ausschluss besonders vulnerabler Gruppen von der Einbürgerung bestehen und macht die wirtschaftliche Verwertbarkeit von Ausländer*innen zum Kriterium zur Aufnahme in die demokratische Gemeinschaft. Die Unsicherheiten verstärken sich durch Auslagerung der historischen bundesdeutschen Verantwortung.

Insgesamt ist das Gesetz – entgegen der Ankündigung durch die Regierung – nicht das fortschrittlichste und modernste seiner Art geworden. 

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